Die Individualität und der Traum vom Reisen
Schon der alte Grieche Heraklit bemerkte vor 2500 Jahren, dass ein Mensch nie zweimal in ganz genau den gleichen Fluss steigen könne. Ein wenig geht es uns so bei unseren Campingurlauben in der Region Cavalino, eingebettet zwischen den Lagunen von Venedig und der Adria, die hier flach auf den weiten Sandstrand aufläuft. Zehn Jahre, seitdem die Kinder aus dem Haus sind, ist die Region unser sommerliches Domizil auf Zeit und im Zentrum steht das Bedürfnis nach Erholung, für die das mediterrane Klima, der stetig sanfte Wind und das Meer mit seinem samtweichen Wasser ideale Bedingungen schaffen. Es ist jedes Jahr das gleiche Bild und doch immer wieder erleben wir diese Zeit anders.

Widersprüchlich zu jenem idyllischen Mix aus Meer, Sand und Sonne scheint der Mensch selbst zu sein, der an den 30 Campingplätzen zwischen Jesolo und Venedig gehäuft auftritt. Die großen Plätze beherbergen in der Hochsaison je 10.000 Menschen und mehr, täglich.Wie ist da Ruhe und Erholung möglich frage ich mich jedes Jahr erneut. Einerseits verreisen wir möglichst nicht in der Hauptsaison, so dass die Belegung bei nur 50 Prozent liegt und anderseits sind wir immer wieder überrascht, in welcher Ruhe und welchem friedlichen Nebeneinander die Campingfreunde gemeinsam ihre Urlaubstage verbringen. Freilich, ‚ein Kind schreit immer‘, doch das gehört zur Kulisse, ebenso wie der sanfte Wind, das Spiel von Licht und Schatten unter den alten Pinien und die beständige Geräuschkulisse eines entspannten Treibens um einen selbst herum.

Generationen und Nationen vereint
Immer wieder faszinieren die Menschen in ihrer Individualität. Alle sind zwar vereint in ihrem Anliegen und Hobby, das Camping, doch gleicht keine Parzelle der anderen, wobei die Grenzen in der Vor- und Nachsaison durchlässiger sind. Etwas genauer nehmen es die Fünf-Sterne-Plätze mit viel Komfort und Luxus, deren ältester der ‚Union Lido‘ und deren populärster derzeit wohl der ‚Marina di Venezia‘ sein dürfte. Hier sind die Grenzen und Regeln des Zusammenlebens auf Zeit enger gesteckt. Wir haben es gerne etwas einfacher und offener, ebenso die Mitmenschen um uns herum, mit alten und neuen Wohnwagen, kleinen und großen Zelten und natürlich fehlen auch Reisemobile nicht, von denen die meisten bereits in die Jahre gekommen sind. Liebevoll aber wird das Equipment gepflegt, Tische, Liegen, Stühle, Fahrräder und Hängematten aufgebaut, meist unter einem großen Sonnensegel oder Vorzelt stehend, soweit es den klassischen Teil des traditionellen Campens betrifft. Individualität wird groß geschrieben und es treffen sich zumindest immer fünf bis sechs Nationen auf dem Platz, Rentner, Jugendliche und Familien.

Immer mehr Raum nehmen fest installierte Mobilhomes, Zelte und Bungalows ein, die es, komplett ausgestattet, den Anreisenden leicht machen. Die Gäste brauchen außer einem Koffer mit leichter Sommerkleidung nichts weiter mitzunehmen. Die Infrastruktur am Platz selbst oder im nahen Ort Cavalino oder Casavio bietet alles für den täglichen Bedarf. „Pizzen und Pasta“ für sieben bis zehn Euro in einem der Restaurants sind ebenfalls erschwinglich und zudem steht immer eine komplett ausgestattete Küche zur Verfügung, leider nicht überall ein Gasgrill und auch keine Liegen. Die Zahl der über den „Venice Airport Marco Polo (VCE)“ anreisenden Campingfreunde steigt ständig und es hat seinen eigenen Reiz, mit Handgepäck über Venedig direkt am Campingplatz einzuchecken.

Für uns bleibt der Campingurlaub eine Konstante im Leben, so hoffen wir. Einschneidende Corona-Maßnahmen und neuerdings explodierende Benzinpreise erschweren dieses ganz persönliche Glück und schöne Stück Freiheit zusehends. Vorerst bleibt es ein Rätsel, wie es schweren Reisemobilen und Wohnwagen über 500 oder 1000 Kilometer hinweg mit einem E-Auto den Weg ins Urlaubsglück offen gehalten werden. Die Tage und Wochen im Süden an Meer und Strand sind ein Jungbrunnen für unser Immunsystem, für das kleine persönliche Lebensglück und den Erhalt unserer Gesundheit im Allgemeinen. Ob mit Familie oder guten Freunden gestalten sich die Urlaubswochen je nach Gusto zum geselligen Miteinander oder persönlichen Rückzug für innere Einkehr. Familien mit Kindern bietet er Freiheit und Abwechslung zwischen Meer, Strand, Quartier, Animation, Freunden und Familie.

Die Zeit vor und nach Corona – zumindest für den Moment – hat gezeigt, wie wichtig dieses persönliche Stück Freiheit und Glück ist. Was fünfzig Jahre lang eine grundgesetzlich garantierte Selbstverständlichkeit war, wurde per Regierungsverordnung zur Besonderheit. Auf dem Höhepunkt, im Sommer 2021, drängten sich die Menschen auf den Camping-Ressorts, ab Juni war über Monate hinweg alles ausgebucht, selbst die letzte kleine Pazelle. Flügreisen in viele Länder waren verboten, die Menschen drängten massiv nach ihrer ganz eigenen Freiheit als Teil ihrer Menschenwürde. Zumindest die Vereinten Nationen bekräftigen, dass „das Streben nach Glück ein grundlegendes menschliches Ziel ist.“
Festhalten an der kleinen Freiheit
Vielleicht ist diese Sicht auch zu eng, denn Medien und Politiker bereiten uns auf schwere Jahre und Zeiten vor. Urlaub – und sei es nur an der Adria – könnte schnell nur noch privilegierten Menschen und nicht mehr der Allgemeinheit offen stehen. Für Familien mit kleinen Kindern ist es bereits heute ein finanzieller Balanceakt und das war in den letzten fünfzig Jahren auch nicht anders. Es war die Geburtsstunde des Campingurlaubs, nämlich mit kleinem Budget dem Alltag für einige Tage und Wochen zu entfliehen. Es ist und war eine Zeit des Glücks, voller Optimismus, als beste Medizin für die Zukunft.

Übrigens ‚entdeckten‘ die ersten Touristen die Adria in den 50er- und 60er-Jahren. Erst 1966 reichte die Autobahn von Villach kommend bis Udine. Zuvor ging es auf kurvigen und engen Straßen, teilweise über Alpenpässe in den Süden. Der Hauptverkehrsweg von Kärnten nach Italien führte über die Strada Statale 13 Pontebbana. Der Abschnitt zwischen Tarvisio und Udine/Nord wurde zwischen 1973 und 1986 erbaut und das letzte Stück zwischen Udine/Nord und Süd 1988 nach zweijähriger Bauzeit eröffnet. „Urlaub in Italien“ wurde für die Masse, also den Massentourismus, damit erst möglich. Zuvor war es ein durchaus abenteuerliches Unterfangen, mit Dachständer und vollbepackten Automobilen in den Süden zu reisen, ohne Klimaanlage und mit nach unten gedrehten Scheiben. Ab den 70er- und 80er-Jahren erschlossen „Touristenflieger“ zunehmend fernere Reiseziele.
Die Würde des Menschen
Die Freiheit zu Reisen (Freizügigkeit) ist ein grundlegendes Recht und wurde in den letzten Jahren auf dünnes Eis gebettet. Es ist auch die Errungenschaft ‚unserer Generationen‘, als aus den Scherben der Weltkriege durch einen wachsenden Wohlstand die „Freiheit des Volkes/ der Völker“, nämlich der Allgemeinheit, wuchs. Es ist ein kostbares Gut und beruht auf gegenseitige Achtung ‚des/der Anderen“ und auch der eigenen Möglichkeiten. Es steht seit Alters her geschrieben: „Du sollt nicht begehren deines nächsten Haus, deines nächsten Frau, noch seinen Knecht, seine Magd, noch sein Rind, noch seinen Esel, noch alles was dein Nächster hat.“ Das gilt auch für einen über-griffigen Staat und Politiker, die in zunehmenden Maße das Recht der Freiheit einzuschränken versuchen.
Fotos: Gerd Spranger
Link: pressespranger.de
Campingplatz: Ca’Savio
casavio.com
Ein Gedanke zu “Und immer lockt der Süden”